«Unser Gehirn tut, was es will» (KI-Serie Teil 2)
Wie lernen Menschen?
Ein Gespräch mit Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Werner Wiater
«Eine KI ist nicht intelligent» - ein Gespräch mit Prof. Dr. Thilo Stadelmann von der ZHAW
«Unser Gehirn tut, was es will» (KI-Serie Teil 2)
Wie lernen Menschen?
Ein Gespräch mit Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Werner Wiater
«Eine KI ist nicht intelligent» - ein Gespräch mit Prof. Dr. Thilo Stadelmann von der ZHAW
Künstliche Intelligenz und der Aufbau neuronaler Netze lehnen sich ganz eng an das menschliche Gehirn an. Doch wie lernt eigentlich ein Mensch? Im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Werner Wiater, ehemals Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Augsburg.
Autor: Markus Back
Im Zusammenhang mit dem Thema «Lernen» wird mitunter von synaptischer Plastizität gesprochen. Was hat man sich darunter genau vorzustellen?
Das menschliche Gehirn verfügt bei seiner Geburt über eine Grundausstattung, die es dem Neugeborenen gestattet, beispielsweise etwas zu greifen oder Dinge wahrzunehmen. Dieses Grundnetzwerk neuronaler Verbindungen bildet sich mit den körperlichen und sensorischen Erfahrungen, die das Kind macht, weiter aus. Je mehr der dabei entstehenden Synapsenverbindungen in Anspruch genommen, angewendet und erweitert werden, desto differenzierter ist das neuronale System.
Und was ist die Voraussetzung für menschliches Lernen?
Die eben erwähnte Fähigkeit des Gehirns, Synapsenverbindungen aufzubauen. Wenn nun die Grundausstattung eines Kindes bereits eingeschränkt ist, entweder durch genetische Bedingungen, durch vorgeburtliche Fehlentwicklungen oder durch Geburtsfehler, kann es nicht die Erfahrungen sammeln wie ein vergleichbares Kind, das mit einer gesunden Struktur geboren wird.
Anknüpfend an die frühgeburtlichen Einschränkungen würde mich interessieren, ob man vorgeburtlich die Entwicklung des Kindes auch günstig beeinflussen kann, indem man ihm beispielsweise Fremdsprachen oder Musik vorspielt?
Es gibt den Trend, dass Mütter ihren Kindern während der vorgeburtlichen Phase englische Texte vorspielen, weil sie davon ausgehen, dass dies das Erlernen von Fremdsprachen begünstigt. Ich persönlich glaube nicht daran, da mir die wissenschaftlichen Belege dafür fehlen.
Es gibt aber genetische Konstitutionen, zum Beispiel bei Kindern, die hochbegabt sind oder welche die Fähigkeiten eines Genies in sich tragen. Hierfür bildet das Gehirn die entscheidende Voraussetzung. Aber ein noch so genialer Mensch kann seine Genialität nicht ausbilden, wenn ihm dafür nicht eine fördernde Umgebung zur Verfügung gestellt wird. Das beste Beispiel dafür ist Mozart. Hätte er nicht ein entsprechendes Umfeld gehabt, sein Vater war selbst Komponist und hat ihn frühestmöglich gefördert, hätte er seine Genialität wohl kaum ausbilden können.
Die Gründe für etwas selber überlegen
Die Sprache prägt einen Menschen. Inwieweit ist es förderlich, fragenden Kindern gegebenenfalls auch zehn Mal die gleiche Frage zu beantworten?
Das ist eine Gewohnheit, die Kinder meistens zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr haben. Dass die gleiche Warum-Frage gegebenenfalls mehrfach beantwortet wird, ist für deren geistige Entwicklung wichtig. Wenn die Kinder dann etwas älter sind, kann man sie aber dazu veranlassen, sich selbst zu überlegen, was der Grund für etwas sein könnte.
Porträt Prof. Dr. Dr. Werner Wiater
Prof. Dr. Dr. Werner Wiater studierte an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Kath. Theologie, Philosophie, Romanistik, Psychologie und Pädagogik. 1972 promovierte er in Kath. Theologie und 1977 in Pädagogik. Nach bestandenem ersten und zweiten Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium sammelte er bis 1974 Schulpraxis und war dann bis 1978 Akademischer Rat/Oberrat für Schulpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Hildesheim. 1979 erfolgte die Berufung zum Universitätsprofessor für Pädagogik an der TU Clausthal, ab 1987 bis 2015 war er Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg.
Lernen, wenn einzelne Sinne fehlen
Wie lernt ein Mensch, der nicht alle Sinne bei sich hat, beispielsweise wenn er taub oder blind ist?
Bei solchen Menschen bildet das Gehirn früh Entlastungsfähigkeiten aus. Das heisst, die Wahrnehmungsfähigkeit anderer Wahrnehmungskanäle ist intensiver, weil diese von Beginn an sehr viel stärker in Anspruch genommen werden. Glücklicherweise gibt es für die betroffenen Kinder inzwischen Hilfsmittel, die ihnen das Lernen erleichtern.
Nimmt die Lernfähigkeit ab?
Nimmt die Lernfähigkeit ab einem bestimmten Alter ab und gibt es etwas, was man dagegen tun kann?
Früher ging man davon aus, dass bis zum 25. Lebensjahr die Lernfähigkeit und die Lernbereitschaft am grössten sind und bereits ab den 30-er Jahren nicht mehr in derselben Effektivität vorliegen. Diese Theorie wird nicht mehr vertreten. Heute, sagt die Forschung, kann die Fähigkeit zum Lernen bis ins hohe Alter erhalten bleiben, wenn ein Mensch dazu bereit ist, immer wieder Neues zu lernen.
Die Lernfähigkeit ist nach aktuellen Vorstellungen also durchaus ausbildbar, aber nicht indem der Mensch repetitiven Tätigkeiten, wie dem Lesen eines Buches oder dem Lösen eines Kreuzworträtsels, nachgeht. Das Gehirn benötigt vielmehr eine Herausforderung und etwas, was den Menschen dazu veranlasst, etwas für ihn Neues zu tun.
Eine Herausforderung für ältere Menschen sind beispielsweise Enkelkinder, weil diese Fragen stellen, mit denen wir uns gar nicht mehr beschäftigen und auf die wir oft auch keine spontane Antwort wissen. Wenn uns beispielsweise ein Kind fragt, wieso ein Specht keine Gehirnerschütterung bekommt, obwohl er doch ständig seinen Kopf gegen den Baum schlägt, müssen wir uns selbst damit beschäftigen und uns fragen, woran das eigentlich liegt? Das sind Aufgaben, die ältere Menschen weiterhin lernfähig bleiben lassen.
Deshalb bekommt der Specht keine Gehirnerschütterung
Selbst nach stundelangem Hämmern zeigt der Specht keine Anzeichen von Benommenheit. Der Grund: Der Schnabel des Spechts liegt unterhalb des Gehirns, wodurch die Wucht des Schlages nicht direkt auf dieses trifft. Entscheidend ist aber auch die Grösse des Gehirns, das fast vollständig den Schädel ausfüllt und so während eines Stosses nur wenig Bewegungsraum hat. Eine wichtige Schutzfunktion gegen die Gehirnerschütterung übernimmt die Schnabelmuskulatur. Kurz vor dem Aufprall ziehen sich die Muskeln ähnlich wie bei einem Stossdämpfer zusammen und fangen dadurch die Treffer ab, die eine Geschwindigkeit von bis zu 25 Kilometern pro Stunde erreichen können. Quelle: weltderwunder.de
Und wie sieht das mit Spielen wie Skat oder Schach aus? Haben diese einen anderen Einfluss auf den Erhalt unserer Lernfähigkeit wie das Lesen eines Buches oder das Lösen eines Kreuzworträtsels?
Das würde ich mit einem klaren «Ja» beantworten. Beim Skat muss man ungeheuer aufmerksam sein und sich zum Beispiel den Wert der gespielten Karten merken. Das ist eine grosse Herausforderung, da es bei jedem neuen Spiel eine andere Verteilung der Karten gibt. Ähnliches gilt für das Schachspiel.
Die unterschiedlichen Lerntypen
Gibt es unterschiedliche Lerntypen, beispielsweise dass sich der eine leichter tut, wenn er etwas aufschreibt, während der andere besser durch das Nachahmen lernt?
Die Forschung ab den 1970-er Jahren spricht tatsächlich davon, dass es typische Lernweisen von Kindern und Erwachsenen gibt. Es gibt Menschen, die lernen am effektivsten, wenn sie etwas hören und im Gespräch, also auditiv. Andere lernen wiederum am schnellsten, wenn sie etwas sehen und beobachten, wie etwas gemacht wird, also visuell. Dann gibt es aber auch den Lerntyp, der am besten lernt, wenn er etwas anfassen, handhaben oder mit etwas experimentieren kann, also haptisch. Wieder andere lernen besonders erfolgreich mit Hilfe von abstrakten Formeln, schematischen Darstellungen oder inhaltlich konzentrierten Zusammenfassungen, wie Merksätzen oder Formeln.
Allerdings gibt es an dieser Einteilung seit langer Zeit schon Kritik. Diese Lerntypen gibt es bei den Menschen nicht in Reinform ausgeprägt. Sie sind abhängig vom jeweiligen Lerninhalt und der Lernmotivation, gelten also nicht generell. Und auch ihre Angrenzung ist nicht trennscharf, da es Übergänge und Überschneidungen gibt.
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Wohin verschwindet das Gelernte?
Wie bewahrt man das Gelernte und vor allem wie ruft man es wieder ab? Die vielen tausend Vokabeln, die ich beispielsweise einmal gelernt habe, scheinen irgendwo im Nirwana verschwunden zu sein.
Zunächst einmal sollte man wissen, dass unser Gehirn autonom ist und, salopp formuliert, das tut, was es will. Sicherlich kennen Sie die Situationen, dass Ihnen plötzlich etwas in den Kopf kommt, wonach Sie überhaupt nicht gesucht haben. Ein anderes Beispiel, das jeder kennt, ist dass man in den Keller geht und vergisst, weshalb man eigentlich dorthin gegangen ist, weil man zwischendurch an etwas anderes gedacht hat.
Wenn man nun etwas Neues lernt, muss man dafür sorgen, dass es das Gehirn auch behält. Dazu muss ein Lernprozess in Behaltenssequenzen ablaufen. Wenn man etwas hört oder erklärt bekommt, bleibt es zunächst nur für eine ganz kurze Zeit im Ultra-Kurzzeit-Gedächtnis erhalten. Daher braucht es eine zweite Phase, bei der beispielsweise diese neue Information an bestehendes Wissen angeknüpft wird und so ins Kurzzeitgedächtnis gelangt.
Weil das Neue aber auch dort nur maximal zwei Stunden erhalten bleibt, braucht es für den Übergang in das Langzeitgedächtnis eine persönliche Auseinandersetzung mit dem vermittelten Sachverhalt. Hierbei sind viele Möglichkeiten denkbar, wobei am nachhaltigsten gelernt wird, wenn man sich intensiv mit einer Sache befasst oder selber etwas dazu anfertigt.
Die gelernten Vokabeln sind ein gutes Beispiel dafür. Will man sie dauerhaft behalten und verfügbar haben, muss man sie am Anfang in kurzen Abständen wiederholen und danach die Wiederholungen in grösseren Zeiträumen erneut durchführen. Wichtig ist auch, ob das neu Gelernte situationsbezogen gebraucht oder eingesetzt wird.
Das Lernen und die Emotionen
Welchen Einfluss haben Emotion auf das Lernen, beispielsweise das Spielen mit anderen Kindern?
Emotionen sind für den Lernprozess des Menschen ganz entscheidend. Denn alle eingehenden Informationen und Sinnesreize werden im Limbischen System, das an der Grenze zwischen Grosshirn und Zwischenhirn liegt, gefühlsmässig bewertet. Wenn man etwas schön und angenehm findet, werden hormonelle Vorgänge ausgelöst, die das Denken fördern. Die Emotionalität unterstützt in der Tat auch das neuronale Verankern und das Behalten von Gelerntem.
KI-Serie: Wie lernen Maschinen, wie lernen Menschen?
Teil 1 - Wie lernen Maschinen? [Link]
«Eine KI ist nicht intelligent»
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Thilo Stadelmann von der ZHAW
Teil 2 - Wie lernen Menschen? [Link]
«Unser Gehirn tut, was es will»
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Werner Wiater, Universität Augsburg
Impressum
Autor: Markus Back, Chefredaktor Print
Bildquelle: Pixabay (Symbolbild) / zVg (Werner Wiater)
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