«Ein Zukauf muss sich wie ein Puzzleteil einfügen»
Interview mit Jürgen Siefert, Vizepräsident Industry DACH bei Schneider Electric
Autor: Eugen Albisser, Chefredaktor Technik und Wissen
Was ist eigentlich mit Schneider Electric los? Der Konzern liefert neue Tools am Laufmeter und wächst unaufhörlich – auch dank strategischen Einkäufen. Höchste Zeit für ein Interview mit Jürgen Siefert, Vizepräsident Industry DACH bei Schneider Electric.
Wer aufmerksam die Nachrichten über Schneider Electric verfolgt, erkennt, dass die Firma immer gut ist für eine Schlagzeile. Und die sind meist auch ziemlich erfreulich: «Schneider Electric bringt neue DCIM-Lösung»; «Deutsche Bank belässt Schneider Electric auf Buy», «Schneider Electric steigert Umsatz um sieben Prozent» oder «Schneider Electric unter den Top-15-Firmen in der Liste der Firmen, welche die Digitalisierung im Energiemanagement und Automation vorantreiben».
Auch mit Übernahmen sorgt der französische Elektronikkonzern für Schlagzeilen. Die letzte grosse Übernahme – respektive ein sogenannter Reverse Takeover (umgekehrte Übernahme) – betraf den britischen Software-Riesen Aveva. Zusammen wurden die Unternehmen zu einem Softwaregiganten mit einem Börsenwert von rund 3 Milliarden Pfund (3,7 Milliarden CHF). Daran merkt man auch: Schneider Electric stellt sich wie ihre grossen Gegenspielerinnen ziemlich schnell und kräftig neu auf.
Bei einem Werksbesuch in Grenoble stellte sich Jürgen Siefert, Vizepräsident Industry DACH bei Schneider Electric, den Fragen zu Themen wie Wachstum, Fachkräftemangel und beantwortete auch Fragen wie diese: Bereitet es der Führungsriege von Scheider Electric eigentlich keine Sorgen, dass man inzwischen aus rund 460 Marken besteht?
Über das rasante Wachstum von Schneider Electric
Herr Siefert, Schneider Electric legt ein rasantes Wachstum hin und kann dank strategischen Zukäufen die Lücken im eigenen Portfolio nach und nach schliessen. Solche Zukäufe haben den Vorteil, dass Fachleute gleich mit an Bord sind. Doch Schneider Electric ist dennoch laufend auf neue Fachleute angewiesen und man hört, dass von hundert freien Stellen nur zwei besetzt werden, derart drastisch zeigt sich momentan der Fachkräftemangel in der DACH-Region. Wie gehen Sie da vor?
Jürgen Siefert: Der Fachkräftemangel ist tatsächlich eine unglaubliche Herausforderung. Wir haben dafür momentan zwei verschiedene Herangehensweisen, um das Problem abzufedern: Im wichtigen Bereich «Apps, Analytics und Service» brauchen wir zum Beispiel ein Profil, dass es so noch gar nicht gibt. Unser Wunschkandidat ist ein IT-Spezialist, der Kenntnisse im Maschinenbau aufweist. Solche Leute sind äusserst schwierig zu bekommen. Deswegen haben wir unser Idealbild der Realität angepasst. Bei den Stellenbewerbern schauen wir, dass sie zumindest einen der beiden Fachbereiche mitbringen, also Sachkenntnis im Maschinenbau oder in der IT.
Mit diesem adaptierten Bild klappt die Suche schon besser. Und zweitens arbeiten wir auch mit Hochschulen zusammen. Als Mentoren unterstützen wir Studenten bei der Themenauswahl und der Erstellung von Studienarbeiten. Für unser Trainee-Programm können wir darüber hinaus immer wieder Studenten begeistern. Diese Zusammenarbeit mit jungen Universitätsabsolventen betreiben wir seit einigen Jahren und konnten auf diesem Weg schon viele zukünftige Führungskräfte an uns binden.
Fusion zwischen Schneider Electric und Aveva
Die Fusion mit Aveva scheint für Schneider Electric eine Lücke zu schliessen, wo man trotz vieler Übernahmen und Wachstum noch Handlungsbedarf hatte. Oder wie sehen Sie diesen Zusammenschluss?
Das ist so. Wir schliessen nach und nach unsere Lücken – nun auch mit Aveva. Wir waren schon stark im Bereich «Betrieb und Wartung von Maschinen und Produktionen». Was wir selbst nicht konnten, war das Design einer «Green Field»-Anlage und die Simulation einer solchen Anlage. Es ist also die perfekte Ergänzung für uns, denn nun bilden wir vom Design bis zur Instandhaltung den kompletten Anlagen- und Maschinenbau inklusive der Gebäudeleittechnik ab. Aus meiner Sicht muss ein wichtiger Zukauf wie jener von Aveva sich wie ein Puzzleteil in das Bild einfügen, das wir mit dem EcoStruxure-Modell zu visualisieren versuchen.
.@AVEVA software solutions are helping drive our #smartmanufacturing initiative and #digitaltransformation journey. Read about our partnership here: #EcoStruxure #IoT
— SchneiderElectric NA (@SchneiderNA) 11. Oktober 2018
Hardware ist die Wurzel, Software Teil der Zukunft
Gibt es eigentlich noch grosse Lücken im Portfolio?
Ich muss auf diese Frage jetzt ein wenig ausholen: Unsere Wurzeln liegen im Hardwaregeschäft. Was wir immer schon gut konnten, ist zum Beispiel die Herstellung von Leistungsschaltern. Hier war der Weg von der Idee bis zum Produkt ganz klar vorgezeichnet. Dort erkannte man die Lücken immer auch gleich. Nun verändern sich die Märkte – besonders durch das IoT – und die Software wird immer wichtiger. Hier ist der «Produktionsprozess» jedoch ein anderer: Mit jedem Schritt, den wir vorangehen, ahnen und erkennen wir erst den nächsten vor uns. Das heisst mit anderen Worten: Wir erkennen Lücken in diesem Bereich oft erst, wenn wir bestimmte Schritte unternommen haben. Ich denke aber, wir sind generell sehr gut aufgestellt mit den Tools, die wir bisher entwickelt haben und an denen wir derzeit arbeiten.
Der EcoStruxure Machine Advisor von Schneider Electric
Können Sie ein solches Tool nennen?
Der «Machine Advisor» ist ein gutes und konkretes Beispiel. Mit dem EcoStruxure Machine Advisor erhalten Firmen einen Echtzeitzugriff auf ihre Maschinen. Die Idee dafür ist entstanden aus den Anforderungen, die unsere industriellen Endkunden und deren Zulieferer uns aufgezeigt haben. Weil wir so nahe bei den Kunden sind, sehen wir schnell, wo «der Schuh drückt». Und es sind dann immer sehr praxisorientierte Themen wie – im Falle des EcoStruxure Machine Advisors – ein Echtzeitzugriff auf Maschinen.
Bleiben wir kurz beim EcoStruxure Machine Advisor. Dieser verfügt über drei wesentliche Funktionen: Track, Monitor und Fix. Was lässt sich damit machen?
Bei der «Track»-Funktion können OEMs den Standort jeder ihrer Maschinen abbilden, mit Echtzeitzugriff auf deren Dokumentation und Historie wie beispielsweise Stücklisten, Handbücher, Wartungsaufzeichnungen oder Auftragslisten.
Die Funktion «Monitor» ermöglicht es OEMs, Maschinendaten in Echtzeit zu sammeln und darzustellen und bietet damit eine umfassende Analyse der Gesamteffizienz der Maschine (Overall Equipment Effectiveness, OEE), Widgets für den Abgleich der Leistung mit betrieblichen Kennzahlen oder anderen Trends sowie Instrumente zur Überwachung von Maschinenverfügbarkeit und Output-Qualität.
Und schliesslich noch die Servicefunktion «Fix»: Dieser Service ist über eine Handy-App verfügbar und erleichtert Wartung und Bedienung durch weiterführende Informationen, Schritt-für-Schritt-Anleitungen und durch die Nutzung externer Fachkompetenz mit dem Einsatz von Augmented Reality (AR). Darüber hinaus bietet Fix den Zugriff auf die Entwicklungssoftware in der Cloud. Ist diese im Rahmen von «Software-as-a-Service» (SaaS) gebucht, steht Servicetechnikern die Anwendung immer in der aktuellen Version mit allen vorhandenen Dokumenten zur Verfügung.
Kurze Einführung zum Machine Advisor. (Quelle: Youtube-Kanal Schneider Electric)
Die offene Plattform des «Machine Advisors»
Wie offen ist diese Plattform für andere Hersteller?
Der «EcoStruxure Machine Advisor» ist unabhängig von der Hardwareplattform. Wir glauben daran, dass der Ansatz einer offenen Architektur der richtige ist. Denn vieles können wir nicht selbst abdecken und darum soll der «EcoStruxure Machine Advisor» die Möglichkeit haben, auch Fremdsteuerungen einzubinden.
Green Box verbindet alle Komponenten
Gibt es hierfür bereits ein Beispiel?
Beim Verpackungsspezialisten SIG haben wir eine sogenannte «Green Box» installiert, eine plattformunabhängige Lösung in Form eines industriellen PCs (iPC) für Maschinen mit integrierten Software-Packages. In dem bei SIG über Jahre gewachsenen Maschinenpark waren bereits Steuerungen von Schneider Electric aber auch von Siemens und Rockwell im Einsatz. Durch das Kommunikations-Gateway in der Green Box können nun alle Komponenten miteinander verbunden werden.
Wir adaptieren also auf dem Level, auf der die jeweilige Produktion steht. Das beginnt damit, dass bei dieser Anlage von SIG teilweise noch alte Maschinen stehen, die noch immer prächtig funktionieren. Diese werden über einfache digitale Ein- und Ausgänge angebunden; andere Maschinen zum Beispiel über den CAN-Bus oder über einen Profibus.
Das Vernetzungskonzept mittels Green Box
Wie funktioniert diese «Green Box»?
Die «Green Box» ist ein zentraler Bestandteil des Vernetzungskonzepts, ein iPC mit umfangreichen installierten Softwarepaketen. Als universelle und erweiterbare IIoT-Lösung für Verpackungsmaschinen erlaubt die Green Box, unterschiedlichste Maschinen anzubinden, Datenaufbereitung über Templates zu integrieren und verschiedenste Spezifikationen von Leitsystemen und MES-Schnittstellen zu bedienen. Sie überzeugt weiterhin im Bereich der Konnektivität durch ihre über 240 Treiber für verschiedene Kommunikationsprotokolle. Hiermit lassen sich sowohl alte Bestandsmaschinen als auch neue Anlagen und Steuerungen herstellerunabhängig an das gewünschte System anschliessen. So wird ein über die Jahre gewachsener Maschinenpark fit für Industrie 4.0.
Schneider Electric führt strategische Zukäufe weiter
Kommen wir noch einmal zurück zum Thema Firmenübernahmen: Ist diese Phase der strategischen Zukäufe nun vorbei?
Die Erweiterung unseres Portfolios mittels Akquisitionen werden wir fortführen. Natürlich ist es hier wichtig, die nötigen Finanzmittel bereit zu halten, also auf einen starken Umsatz vertrauen zu können. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, welche Kaufoptionen sich am Markt anbieten. So eine Firma wie Aveva ist eine Perle am Markt und diese sind hart umkämpft.
Wie verändern solche Akquisitionen die Firma Schneider Electric?
Am Beispiel Vertrieb und Support kann man das sehr schön nachvollziehen: Vor zehn Jahren hatten wir noch zwei Drittel der Mitarbeiter im Vertrieb und ein Drittel war im Support tätig. Heute ist es genau umgekehrt. Das zeigt: Wir haben uns sukzessive bewegt vom Produktanbieter im Bereich Industrie zu einem Lösungsanbieter.
Die 460 Marken des französischen Konzerns
Inzwischen besteht Schneider Electric aus rund 460 Marken. Bereitet das der Führungsriege kein Kopfzerbrechen?
Nein. Das kann ich Ihnen auch deshalb so sagen, weil ich selbst aus einem mittelständischen Unternehmen komme, das von Schneider Electric übernommen wurde. Wie haben keinen Blueprint, wie eine Markenintegration stattfinden soll. Normalerweise aber verläuft er ungefähr so: Zuerst bleibt der Brand erhalten, dann im zweiten Schritt heisst er «ein Brand von Schneider Electric». Und der dritte Schritt wäre dann die Integration und der Auftritt unter der Marke Schneider Electric.
Aber es gibt gute Gründe für Ausnahmen wie zum Beispiel ja auch in der Schweiz mit der Firma Feller. Die ist noch immer ein eigenständiger Brand, denn aus operativer Sicht wäre es vollkommen falsch, so grosse und kraftvolle Marken verschwinden zu lassen. Feller hatte einen gigantischen Marktanteil und es ist aus meiner Sicht wichtig, diese Stärke zu erhalten. Umgekehrt haben wir in Deutschland davon profitiert, dass starke Marken sukzessive zu Schneider Electric wurden, und wir so die Markenbekanntheit von Schneider Electric in Deutschland deutlich steigern konnten.
Wie kann man bei einem so verzweigten Unternehmen sicherstellen, dass man nicht redundant entwickelt?
Ehrlich gesagt, gibt es immer eine Redundanz bei der Entwicklung. Und diese Redundanz wird zum Teil auch von uns gefördert. Und ich sage Ihnen auch gleich wieso. Im Bereich Software habe ich eines gelernt, dass man verschiedene Betrachtungsweisen zusammenbringen muss, um auf gute und erfolgreiche Ideen zu stossen. Wenn nur ein dediziertes Team das tut, verpasst es eine Chance. Wir haben zum Beispiel ein Entwicklungsteam mit mehr Kontakten zu den Endkunden, und ein anderes ist näher bei den OEMs. So kommen unterschiedliche Informationskanäle zusammen.
Diese Herangehensweise hat natürlich den Nachteil, dass man tatsächlich ein paar Sachen parallel entwickelt. Man muss das ganze einfach sehr gut koordinieren. Das ist es eigentlich schon und zählt für so vieles: Um ein Big Picture zu bekommen, muss man breit aufgestellt sein, darüberstehen und alles so sachte wie möglich koordinieren. Und ich glaube, das können wir inzwischen sehr gut.
Zugabe: Anwenderbeispiel EcoStruxure Machine
Der Maschinenhersteller Somic nutzt EcoStruxure Machine zum Bau von leistungsstarken Verpackungssystemen für Kunden weltweit.
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Autor: Eugen Albisser
Bildquelle: Schneider Electric
Publiziert von Technik und Wissen (ea)
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