Das können Quantencomputer heute bereits
Es gibt bereits einige Anwendungen aus dem Industriebereich, die mittels Quantenrechner zum Erfolg geführt haben. Dieser Artikel zeigt ein Optimierungs-Beispiel, das mit einem Quanten-Annealer durchgeführt wurde und einen Ansatz, um das Stanzen zu verbessern.
Autor: Eugen Albisser, Chefredaktor Online und Digitales Storytelling.
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Wer sich mit Quantencomputern auseinandersetzt, der weiss, dass es noch viele Einschränkungen gibt. Die Rechner sind unter anderem sehr fehleranfällig. Da haben Einzelschaltungen Fehlerraten, sie nennen sich Gate-Fidelity. Es gibt Fehler bei Tauschoperationen, Swaps, und zudem stören sich Quantenschaltungen gegenseitig (crosstalk) oder da wären auch die «Readout Errors» beim Auslesen der Ergebnisse. Das hinterlässt oft den Eindruck, dass Quantencomputer noch nicht für den Einsatz in der Industrie geeignet sind. Das stimmt aber nur bedingt. Denn viele Fehler lassen sich mit Protokollen reduzieren oder sogar beseitigen. Die Hersteller von Quantenrechner wie IBM oder D-Wave können dementsprechend bereits auf interessante Anwendungsfälle verweisen.
IBM Quantum Experience: mehr als 400‘000 User
Doch bevor wir solche aufzeigen, ein paar Bemerkungen zu den unterschiedlichen Systemen. IBM gilt als einer der Pioniere unter den Quantencomputer-Herstellern, und sie bieten bereits seit Mai 2016 Rechnerleistung über die Cloud an. Dieses sogenannte «IBM Quantum Experience» hat bereits über 400‘000 User, welche bereits zu mehr als 700 wissenschaftlichen Forschungsarbeiten geführt haben.
So nebenbei: Auch die Firmen in uptownBasel haben Zugriff auf einen Quantenrechner von IBM, und zwar steht ihnen 5 % der Leistung des schnellsten IBM-Rechners zur Verfügung. Daneben hat sich als Partner in uptownBasel auch die kanadische Firma D-Wave niedergelassen und stellt ihre Rechner und Expertise zur Verfügung. Auch D-Wave hat übrigens ein Cloud-Angebot, das sich «Leap» nennt. Die Rechner und daher auch die Anwendungen von IBM und D-Wabe unterscheiden sich erheblich.
The Next Wave - IBM Quantum Summit 2022 Keynote. (Quelle: IBM Research)
Die Optimierungsprobleme
Beim D-Wave Quantencomputer spricht man von Quantenannealing. Ein Quanten-Annealer nutzt Quanteneffekte, um eine spezielle Unterklasse an Problemen lösen zu können, im Speziellen sind dies Optimierungsprobleme.
Bei einem Optimierungsproblem sucht man nach der besten von vielen möglichen Kombinationen. Zu den Optimierungsproblemen gehören auch Planungsprobleme, wie diese: «Soll ich dieses Paket mit diesem oder dem nächsten Lkw versenden?» oder «Welches ist die effizienteste Route, die ein Aussendienstmitarbeiter nehmen sollte, um verschiedene Städte zu besuchen?»
Die Physik kann bei der Lösung solcher Probleme helfen, weil man sie als Energieminimierungsprobleme betrachten kann. Eine Grundregel der Physik besagt, dass alles dazu neigt, einen Zustand minimaler Energie anzustreben. Objekte rutschen Hügel hinunter, heisse Dinge kühlen mit der Zeit ab. Dieses Verhalten trifft auch auf die Welt der Quantenphysik zu. Quantenannealing nutzt einfach die Quantenphysik, um energiearme Zustände eines Problems und damit die optimale oder nahezu optimale Kombination von Elementen zu finden.
Den optimalen Weg in der Produktion finden
«Eines der vielen Beispiele aus dem Industriebereich kommt von Firma Denso Corporation», meint Victoria Goliber, Research Scientist bei D-Wave. Denso gehört zu den führenden Anbietern fortschrittlicher Automobiltechnologie, Systemen und Komponenten für die meisten grossen Automobilhersteller der Welt. Die Firma hat zusammen mit D-Wave einen «Proof of Concept» für die Optimierung der Steuerung von Automated Guided Vehicles (AGVs) in den Werkshallen abgeschlossen. Diese robotergestützten Transporteure bewegen Materialien mithilfe automatischer Leitsysteme durch die Fabrik. Angesichts der Anzahl der gleichzeitig arbeitenden AGVs ist es von grösster Bedeutung, ein Gleichgewicht zwischen der reibungslosen Steuerung der einzelnen Maschinen und der Vermeidung von Kollisionen zu finden und dabei mit den Produktionsanforderungen Schritt zu halten.
«Mithilfe des hybriden Klassischen-Quantum-Computings konnte Denso die optimale Anzahl der Wege, die die AGVs in der Fabrik nehmen können, eingrenzen und einstufen», sagt Victoria Goliber. Anschliessend konzentrierten sie sich darauf, die Verkehrsüberlastung im gesamten Ökosystem zu verringern. Die Ergebnisse seien beachtlich gewesen: Die Forscher waren in der Lage, Lösungen zu entwickeln, die die Zeit, die jedes AGV auf eine freie Route warten musste, um durchschnittlich 15 % reduzierten, selbst wenn der Schwerpunkt auf Sicherheit statt Geschwindigkeit lag.
Das Projekt Quasim und eine Anwendung: Stanzen mit dem Quantenrechner
Ein anderes Beispiel, das nur mithilfe eines Quantencomputers zum Erfolg geführt werden kann, ist Folgendes: Wenn man in der Fertigung einen digitalen Zwilling hat, dann muss er oft vorliebnehmen mit groben Abschätzungen von relevanten physikalischen Effekten, die in der Wirklichkeit auftreten. Der Grund: der Rechenbedarf würde die Grenzen herkömmlicher Rechner sprengen. Darunter leide die Qualität des digitalen Zwillings und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse und Entscheidungen erheblich, erklärt Quantenphysiker Tobias Stollenwerkes in einem Fachbericht des Forschungszentrums Jülich, wo man beim Quasim-Projekt Quantencomputer und Metallverarbeitung zusammenbringen möchte.
Herr Dr. Stollenwerk, worum geht es in dem Projekt?
In Quasim wollen wir das Potenzial von Quantencomputern für die Metallverarbeitung untersuchen. Dabei konzentrieren wir uns auf konkrete Anwendungsfälle. Ein Testproblem, das wir mit der Firma Trumpf untersuchen, ist die Entnahme der Teile beim Laserschneiden. Diese Entnahmeprozesse verlaufen oft nicht optimal, obwohl die Prozesse auch heute schon mithilfe von Computersimulationen optimiert werden. Das hängt damit zusammenhängt, dass die Wärmeausdehnung der Bleche – der Laser ist sehr heiss – nur unvollständig in den bisherigen Modellen berücksichtigt werden kann. Die ausgeschnittenen Teile bleiben daher manchmal am Blech hängen. Die Maschinen müssen dann angehalten werden, um sie zu lösen, was zu unerwünschten Stillstandzeiten führt. Eine Optimierung der Schnittmuster mit Quantencomputing und maschinellem Lernen könnte helfen, die Effizienz und auch die Qualität der Schnitte zu steigern.
Wie weit sind Sie schon?
Heutige Quantencomputer sind trotz der enormen Fortschritte in den vergangenen Jahren immer noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Momentan geht es darum, die Probleme auf Teilprobleme herunterzubrechen, die ähnliche Charakteristika aufweisen wie die realen Aufgaben und so simpel sind, dass sie sich auf den aktuell zur Verfügung stehenden Quantencomputern mit nur wenigen Qubits lösen lassen. Auf diese Weise wollen wir zu einer Einschätzung gelangen, inwiefern Quantencomputer bei dieser konkreten Aufgabenstellung einen echten Quantenvorteil in der Praxis bieten können. Und es geht um die Frage, welche Eigenschaften ein solche Quantenrechner haben muss und wie hoch der damit verbundene Entwicklungsaufwand ist. Ein wichtiges Ziel zum Ende des Projektes ist es, eine Abschätzung zu erhalten, welche Quantencomputer-Ressourcen notwendig wären, um einen Quantenvorteil in der Praxis zu erreichen. Bis jetzt haben wir erste Ansätze entwickelt, wie man Quantencomputer zur Beschleunigung von Verfahren des maschinellen Lernens einsetzen könnte, um die Temperaturausbreitung in den Blechteilen zu simulieren.
Quellen
- Welche Quantencomputer gibt es jetzt schon?, – http://www.quantencomputer-info.de, 24.01.2023
- Wikipedia-Eintrag D-Wave Systems, Wikipedia, 24.01.2023
- What is Quantum Annealing?, DWave, 24.01.2023
- Anwendungen für Quantencomputer – http://www.quantencomputer-info.de
Video zu Quantentechnologie
Wie funktioniert ein Quantencomputer und wo steht die Forschung in der Schweiz | Einstein | SRF
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Text: Eugen Albisser
Bildquelle: IBM
Redaktionelle Bearbeitung: Technik und Wissen
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