Die Zukunft der virtuellen Produktentwicklung
Rückblick auf die Europäische Comsol-Konferenz in Lausanne
Die Zukunft der virtuellen Produktentwicklung
Rückblick auf die Europäische Comsol-Konferenz in Lausanne
An der Europäischen Comsol-Konferenz in Lausanne diskutierten ein paar hundert Simulationsexperten aus der ganzen Welt über die Zukunft der virtuellen Produktentwicklung. Was es zu hören und zu sehen gab, erklärt Sven Friedel, Geschäftsführer Comsol Multiphysics GmbH im Interview.
Herr Friedel, vor kurzem fand in Lausanne die Europäische Comsol-Konferenz statt. Wie war die Stimmung?
Fantastisch. 450 Simulationsexperten aus 38 Ländern diskutierten während drei Tagen im perfekt geeigneten, lichtdurchfluteten SwissTech Convention Center über die Zukunft der virtuellen Produktentwicklung. Unsere Erwartungen wurden weit übertroffen und wir mussten in letzter Minute sogar noch auf einen grösseren Saal ausweichen, zugegeben ein Luxusproblem.
Die dreitägige Veranstaltung war vollgepackt mit Vorträgen, Keynote-Sessions, Workshops und Anwender-Präsentationen. Was waren für sie die Highlights?
Ich denke, die Keynote-Präsentationen waren alles wirkliche Highlights. Die gesamte Bandbreite der Schweizer F&E-Landschaft wurde darin gespiegelt: Thijs Defraye (EMPA) beeindruckte mit seinen Modellen zu Transportprozessen in Nahrungsmitteln und Textilien. Florian Klunker (Huntsman Advanced Materials) zeigte auf, wie weltweit operierende Unternehmen heute Simulation-Apps für viele Mitarbeiter einsetzen, und Prof. Mario Paolone und das Team von EPFLoop überzeugten mit einem von der Pike auf durchsimulierten Prototypen eines Hyperloop Pods. Auf sprichwörtlich grosse Resonanz stiess auch der Vortrag von Andri Bezzola (Samsung Audio Lab, Los Angeles) über die Optimierung von Lautsprechern.
Sie haben die Keynote-Präsentation von EPFLoop erwähnt. Können Sie genauer erklären, worum es da ging?
Das Team von EPFLoop nahm in diesem Jahr erstmals an der Hyperloop Competition des Unternehmens Space-X teil. Sie kamen nicht nur auf Anhieb unter die schnellsten drei Teams, sondern gewannen – und das freut uns fast noch mehr – den 1. Preis für Design und Engineering. Im Fahrzeug waren viele technische Detailfragen zu lösen, darunter die Optimierung der aerodynamischen Hülle, die Stabilität der Druckbehälter für die Stromversorgung, die thermische Belastung der Bremsen sowie die Auslegung des Chassis. All das haben die jungen EPFL-Ingenieure in unglaublich kurzer Zeit auf die Beine gestellt und offenbar dem Team von Elon Musk in einem sehr anspruchsvollen Selektionsprozess so überzeugend präsentiert, dass sie den Engineering-Preis in die Schweiz holen konnten.
Der Pod war während der Konferenz ausgestellt und ein echter Zuschauermagnet. Das Team war übrigens auch für Spass zu haben, da es eine kleine spontane Showeinlage zusammen mit den Musikern der Swiss Alphorn Academy gab, die während der Icebreaker Party musizierten.
Alphörner und Multiphysics Simulation – wie passt das zusammen?
Die kurze Antwort wäre: Akustik ist einer der schönsten Teilgebiete der Physik. Die etwas längere: Wir hatten während der sehr technischen Konferenz für technikaffine Menschen einige traditionelle Elemente aus der Schweiz eingebaut. Natürlich Käse und Wein, aber auch Alphörner und nicht zuletzt eine echte Kuhglocke von einem befreundeten Bauern, mit der wir die Teilnehmer zurück in die Vorträge riefen. Die Mischung aus Technologie und Tradition kam bei den Besuchern sehr gut an.
Kann man trotz derart vielen und unterschiedlichen Vorträgen einen Trend in der multiphysikalischen Simulation erkennen?
Zwei Trends sogar. Einerseits ist es die fortschreitende Vertiefung der Kopplung von Effekten. Indem in fast jedem Gerät heute immer mehr Funktionen auf kleinstem Raum untergebracht werden, vom Smartphone über das Auto bis zu tragbaren Sensoren in einer Uhr, ist die Wechselwirkung von Effekten – ob nun gewünscht oder nicht, unvermeidlich. Denken wir zum Beispiel an Batterien – hochkomplexe Gebilde, in denen Ladungen, Masse, Wärme und Stoffe transportiert werden. Wer hier einen Wissensvorsprung hat, kann neue Produkte in Unternehmenserfolg verwandeln.
Und der zweite Trend?
Der zweite Trend ist der Einfluss der App-Kultur. Mit Simulation-Apps können heute viel mehr Menschen von Simulation profitieren als in der Vergangenheit. War es bis vor Kurzem allein der Berechnungsingenieur, der mit den Modellen umgehen konnte, werden heute Manager, Labortechniker und sogar Kunden in den Entwicklungsprozess eingebunden. Über Applikationen, die über Browser sogar auf Tablets laufen, kann jeder mit den Simulationen interagieren und an der Vertiefung des Wissens mitarbeiten.
Beide Trends, Multiphysics und Simulation-Apps, haben Comsol in den letzten Jahren entscheidend geprägt. Heute sehen wir, dass wir wohl nicht ganz falsch lagen.
Es gab auch viele Anwenderpräsentationen. Welche ist Ihnen in Erinnerung geblieben?
Viele eigentlich, aber wenn ich eine ganz besondere nennen sollte, dann vielleicht eine tolle Arbeit eines CERN-Teams um Eduardo Cano Pleite, welches auch den «Best Paper Award» gewonnen hat. Der Large Hadron Collider (LHC) ist ja bekanntermassen die grösste Maschine der Welt und steckt voll fundamentaler Herausforderungen, welche nicht nur für die Teilchenphysik relevant sind, sondern auch viele Ingenieurdisziplinen befruchten. Wann immer ich am CERN bin, beeindruckt mich, wie dort die Arbeit am Limit des technisch Machbaren eigentlich der Normalfall ist. Um diese Faszination zu teilen, gab es nach der Konferenz eine Exkursion für viele Teilnehmer nach Genf – auch das, ein Highlight.
«High Performance Computing» ist in der Welt der Simulationen ein grosses Thema. Welche Entwicklung sieht man da kommen?
Für mich ist High-Performance Computing eine Herausforderung, die nicht nur Softwareentwickler fordert, sondern auch Anbieter von Computersystemen und Prozessorherstellern. Aus diesem Grund freue ich mich, dass wir HP als Goldsponsor begrüssen durften. Es ist wichtig, dass alle Stakeholder zusammenspannen, um die maximale Performance für den Anwender herauszuholen.
In meinem eigenen Vortrag zu Beginn der Konferenz habe ich es wie folgt formuliert: Es wäre wohl möglich einen Prozessor, einen Computer und eine Software allein für Fluiddynamiksimulation zu konstruieren –, nur wäre der Markt dafür extrem klein. In der Realität haben wir Prozessoren, Computer und Software, die für sehr viele Aufgaben mit unterschiedlichsten Ansprüchen gebaut werden. Die grosse Herausforderung ist bei jeder konkreten Aufgabe, möglichst auf allen Ebenen solche Einstellungen zu setzen, um diese mit maximaler Performance lösen zu können.
Nicht nur die Konferenz fand kürzlich statt, Comsol kam auch mit einer neuen Version 5.4 ihrer Software auf den Markt. Neben vielen Updates ist das neue Produkt «Comsol Compiler» erhältlich, das der Erstellung von Stand-alone-Apps und dem Digitalen Zwillingen dient. Können Sie das genauer erörtern?
Wie oben schon erwähnt, sehen wir einen starken Trend zu Simulation-Apps, manche nennen es auch die «Demokratisierung der Simulation»: Nämlich raus aus den Händen einzelner «Wizards» und hin zur weitaus grösseren Community von Ingenieuren, welche die Simulation für spezielle Aufgaben im täglichen Arbeitsumfeld verwenden können, ohne jemals selbst ein Modell zu bauen. Mit dem Compiler ist das jetzt noch einfacher geworden. Modelle können einfach in ein eigenständiges Programm verwandelt und danach völlig lizenzfrei verteilt werden. Spezialisten können somit zahlreiche Nischenlösungen erarbeiten und vertikale Märkte erobern, wodurch noch viel mehr Ingenieure von unserer Technologie profitieren können.
Wann und wo findet die nächste Comsol-Konferenz statt?
Im September 2019 in den Hallen der ehrwürdigen University of Cambridge in England, wird die nächste Comsol-Konferenz erfolgen. Wir freuen uns schon auf dieses nächste Highlight und begrüssen hoffentlich wieder viele Schweizer User.
Impressum
Autor: Eugen Albisser
Bilder: Comsol
Publiziert von Technik und Wissen (ea)
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